„Burschen und Bomben”

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„Hier werden Zweifel geäußert, ob sie Deutsche sind.
Sie sind natürlich Deutsche [...].”


Einige wenige Briefe mit explosivem Inhalt hatten nicht nur ernste Verletzungen der Personen,[4] die sie geöffnet hatten, sondern auch Millionengeschäfte der Medien[5] und eine zig–Millionen teure Suche[6] der Republik bzw. ihrer dazu berufenen Sicherheitsbehörden nach den Terroristen zur Folge.

Während die Medien nun eine Fülle von mehr oder weniger gut recherchierten Informationen, aber auch Spekulationen und Meinungen erfolgreich zu diesem Thema verkaufen, bleiben Staats– und Kriminalpolizei in dieser Angelegenheit in ihren Bemühungen bis heute erfolglos. Der Grund dafür mag u.a. darin liegen, daß es sich einerseits um ein völlig neues Phänomen in Österreich handelt, zu dem Analogien nur schwer gefunden werden können,[7] andererseits Informationsquellen, auf die sich die Ermittlungsbehörden offenbar stützen, zwar oft umfangreich, aber nicht immer verläßlich oder sogar politisch tendenziell sind.[8]

Hinzu kommt, daß es den Ermittlern ganz offensichtlich in manchen Punkten an eigener Erfahrung und an jenem Hintergrundwissen mangelt, das geeignet wäre, Aussagen und Ermittlungsergebnisse in einen adäquaten Bezug zu setzen und Fehlinterpretationen zu vermeiden. So läßt sich beispielsweise die oben zitierte Aussage — je nach Standpunkt des sich Äußernden und des Äußerungsempfängers — ganz verschieden auslegen. Sie ist jeweils völlig anders zu interpretieren, wenn sie von jemandem a) im Sinne der Großdeutschen Lösung von 1848 oder von 1938, b) von einem Österreicher oder von einem Deutschen, c) aus heutiger oder vergangener Zeit, d) von einer Privatperson oder, wie im konkreten Fall des Zitates, von einer Regierung stammt;[9] ob sie sich e) auf ea) sprachliche, eb) kulturelle, ec) politische oder ed) nationale Kriterien bezieht; ob sie f) vollständig oder nur fragmentarisch überliefert ist; oder g) ob die Äußerung ein Ergebnis spontaner Meinungsbildung oder eines langdauernden, kritischen, möglicherweise akademisch geführten Nachdenkprozesses ist — das allein ergibt schon einige Millionen (!) möglicher Kombinationen, die noch durch den Filter der politischen Überzeugungen jeweils des Äußernden und insbesondere des Äußerungsempfängers vervielfacht werden.[10] Simplifizierungen sind dabei keinesfalls hilfreich, vielmehr müssen möglichst viele Gedanken gedacht und Interpretationen gefunden werden, um die zum Ziel, nämlich zur Ergreifung und Bestrafung der Terroristen führenden Informationen herausfiltern und verwerten zu können.

Erschwerend wirkt sich noch aus, daß die ermittelnden Behörden einerseits bürokratisch, d.h. jeden Schritt dokumentierbar und entsprechend den Dienstvorschriften, vorzugehen haben, die Beamten andererseits auch weisungsgebunden sind. Dies führt dazu, daß zwar gegen Extremisten ermittelt, nicht aber wie diese gedacht werden darf. Die unreflektierte Verwendung nicht exakt definierter Begriffe wie etwa „rechts–” und „linksextrem” sowie der ständige Druck der Medien des In– und Auslands und der österreichischen Bürger behindern zudem die Ermittlungen.

Unzweifelhaft gilt jedoch: Je freier und ungebundener jemand nachdenken kann und darf, je weniger sich jemand beim Nachdenken auf ein bestimmtes Ziel konzentrieren muß, desto höher ist allgemein seine Chance, sich die richtigen, d.h. in der Sache zielführenden Gedanken zu machen!


Der Verfasser ist sich dessen bewußt, daß einige der in dieser Arbeit verwendeten Formulierungen nicht dem allgemeinen, oft politisch determinierten, alltäglichen österreichischen Sprachgebrauch entsprechen. Um aber akademischem Anspruch gerecht zu werden und überdies die Arbeit auch dem wissenschaftlichen und corporationsstudentischen Laien verständlich zu machen, erscheint es unumgänglich, Informationen, Definitionen, Interpretationen und Meinungen wiederzugeben, die zwar den ermittelnden Behörden notorisch sein mögen, jedoch in der Öffentlichkeit und in den Medien — oft genug aufgrund einseitiger Berichterstattung[11] — entweder unbekannt, politisch nicht opportun oder sogar geächtet sind.

Sie ist der Versuch eines akademischen Beitrages zur Suche nach den Terroristen.[12]


Am 01.10.1997 konnte der 48–jährige Franz Fuchs aus Gralla in der Steiermark unter dem dringenden Tatverdacht, Erzeuger der Briefbomben zu sein, festgenommen werden.[13] Um die Objektivität dieser Arbeit nicht zu gefährden, haben Erkenntnisse, die seit diesem Zeitpunkt in dieser Affaire gewonnen wurden, mit Ausnahme des Schlußwortes in keinen Teil dieser Arbeit Eingang gefunden.[14]



[4] Vgl. dazu ORF Report Spezial.

[5] Vgl. dazu Ledel in CARO♦AS 3/1995, S. 11–13.

[6] Vgl. dazu ORF Report Spezial, 21.21 Uhr.

[7] Der Verfasser des in news 24/1997, S. 14 f. abgedruckten Gutachtens im Gespräch mit der Konversatoriumsgruppe vom 30.04.1997.

[8] Vgl. dazu nur beispielsweise die Kritik am DÖW bei Weichselbaumer, DA 1997, S. 86.

[9] Vgl. BMdI Deutsche Aussiedler, Frage 3: Sind die Aussiedler, die zu uns kommen, überhaupt Deutsche? Der „deutschnationale Ursprung”, den man in Österreich aufgrund des (automatisch auf Österreicher bezogenen) Zitatinhalts erwarten würde, wird durch die Quellenangabe — auch inhaltlich! — widerlegt; es ist also große Vorsicht geboten beim Versuch, Quellen (nicht nur) aus dem Bereich studentischer Corporationen kompetent und richtig zu beurteilen.

[10] So wird ein (österreichischer) Kommunist beim Wort „deutsch” andere Assoziationen haben als ein (österreichischer) Sozialist von 1918 oder einer von heute, als ein Monarchist, ein Legitimist oder ein „Bürgerlicher” etc.; dies alles führt zu zahlreichen begrifflichen Unschärfen, derer man sich beim Erarbeiten einer zielführenden Analyse bewußt werden muß.

[11] Vgl. zur Kritik der Einseitigkeit der (öffentlichrechtlichen) Berichterstattung etwa Ledel in CARO♦AS 6/1995, S. 3–5; ders. in CARO♦AS 1/1996, S. 1 f.; Tschugguel in Eunomia 1993, S. 9. Ein beachtenswertes Plädoyer für die Nützlichkeit von Gedankenfreiheit und Meinungsvielfalt findet man bei Mill Über die Freiheit, S. 26: „[...] Denn wenn die Meinung richtig ist, so beraubt man sie der Gelegenheit, Irrtum gegen Wahrheit auszutauschen; ist sie dagegen falsch, dann verlieren sie eine fast ebenso große Wohltat: nämlich die deutlichere Wahrnehmung und den lebhafteren Eindruck des Richtigen, der durch den Widerstreit mit dem Irrtum entsteht.”

[12] Zum Zusammenhang zwischen Philosophie und akademischer Freiheit und zu ihrem Nutzen, insb. für andere Wissenschaften, vgl. Piper Offenheit, S. 10–13: „Und wirklich, so sehr unsere heutigen Universitäten sich, wie nicht anders zu erwarten, in ihrer konkreten Erscheinung von den hohen Schulen der mittelalterlichen Christenheit unterscheiden: sie realisieren dennoch die gleiche, die in ebendiesem Namen „Universitas” zum Ausdruck kommende Grundkonzeption, besagend, daß es sich vor allem um eine Institution handle, die es auf einzigartige Weise mit dem Allgesamt der Dinge zu tun habe, mit dem Ganzen der Welt. [...] die Hervorbildung des eigentlich und unterscheidend Menschlichen, mit einem anderen Wort: wirkliche Bildung des Menschen geschieht einzig insoweit, als solche Konfrontierung mit dem Totum des Seienden ausdrücklich in Gang gebracht wird. Ein wahrhaft gebildeter Mensch ist einer, der weiß, wie es sich mit der Welt im Ganzen verhält — wie unvollkommen dieses Wissen auch sein mag [...].” [...] „Was die Universität zur Universität macht, ist nicht die Wissenschaft! Sondern? Sondern die entschiedene Ausrichtung des Denkens auf das universum, auf das einheitliche Allgesamt der Dinge; die dezidierte und beharrliche Bemühung um Offenheit für das Ganze! Welche Bemühung seit je als Philosophieren verstanden und bezeichnet worden ist.” Da die bisherigen kriminalistischen, politischen, statistischen ... Ansätze bei der Suche nach den Drahtziehern der Briefbomben offenbar erfolglos gewesen sind, erscheint es angebracht, die Waffe des gedachten Wortes, die Philosophie, bei Versagen der anderen Möglichkeiten einzusetzen. „Die Wissenschaft wird als diese bestimmte Einzelwissensmaft geradezu konstituiert durch die Formulierung des speziellen, partikulären Aspekts, unter welchem die Realität betrachtet werden soll; die Wissenschaften existieren sozusagen durch die Grenze gegenüber den anderen Wissenschaften. [...] Der Philosophierende hingegen, selbst wenn er etwas konkret Wirkliches ins Auge faßt [...] — der Philosophierende fragt [...] — der Philosophierende sucht folgende Art von Frage zu beantworten: Was ist „dies hier” unter jedem denkbaren Betracht (wobei vielleicht noch nicht einmal klar sein muß, was ein „denkbarer Betracht” ist — selbst das ist noch offen!)?” (Ebenda, S. 14 f.) „Öffnet sich aber der menschliche Geist, indem er wahrhaft philosophisch fragt, mit solcher Vorbehaltlosigkeit dem Ganzen des Seins, dann tritt auch er selbst erst in seine eigentlichen Möglichkeiten ein: es kommt jenes convenire cum omni ente in Gang, das die Natur des Geistes ausmacht.” (Ebenda, S. 16.) „Unbeantwortbare Fragen werden von der Wissenschaft nicht gestellt oder sie werden, sobald das klar ist, ausgeschieden — mit Recht. Der Philosophierende hingegen hört nicht auf, weiterhin Fragen zu bedenken und zu erörtern, von denen zugegebenermaßen feststeht, daß sie niemals endgültig beantwortet werden können.” Vgl. ebenda, S. 21. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum freies, akademisches Denken gerade bei interdisziplinären Veranstaltungen wie jenes Konversatorium, aus dem diese Arbeit hervorgeht, wesentlich leichter fällt als im normalen universitären Betrieb; vgl. dazu ebenda die Anregung Pipers, „[...] man möge dem die Disziplinen und Fakultäten übergreifenden akademischen Streitgespräch im Bauplan der Universität selbst einen Platz offenhalten.”

[13] Vgl. dazu etwa ORF ZiB v. 04.10.1997.

[14] Da der Fall zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Arbeit noch nicht aufgeklärt ist und überdies zur Festnahme des Tatverdächtigen nicht die behördlichen Ermittlungen, sondern vielmehr purer Zufall geführt haben (es sich daher in concreto zwar um einen Fahndungs–, nicht aber einen Ermittlungserfolg handelt), kann das angestrebte Ziel der Arbeit beibehalten werden.






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